Ein Baukran und der erste Kuss
Es war an einem warmen Maitag. Kurz nach meinem sechsten Geburtstag. Am frühen Nachmittag machte sich die Bande auf den Weg ins gelobte Land.
Doch als wir über die Mauer klettern sehen wir eine enorme Veränderung in unserem Reich. Da liegt wie aus dem Nichts ein riesiges Monster im Gelände. Es ist ein großer gelber Baukran der da mitten in den Sträuchern und Bäumen liegt. Wir blicken auf die Krankabine und das lange Gerüst und staunen nicht schlecht. Erst einmal verstehen wir gar nicht wie das dahin gekommen ist.Es ist ein Monster aus Stahl.
Nach kurzer Zeit sind wir mit unserer Betrachtung zu Ende,kommen aber zu keinem Ergebnis und entschließen uns, verstecken zu spielen. Die Sonne fällt schräg in unsere Welt und es schön warm. Axel lehnt an einer Birke und fängt an zu zählen. Wir spritzen auseinander und suchen schon im laufen nach einem sicheren Platz. Rosa und ich umlaufen den Kran und auf der anderen Seite ist die Kabine offen. Ich greife Ihre Hand und sage atemlos:”Komm schnell hier rein!”
Sie folgt mir und kurz darauf hocken wir beide dicht beieinander. Durch die Glasscheiben konnten wir nicht viel sehen, weil überall auf Augenhöhe ringsum die Blätter der Büsche den Blick versperrten. Wir hören weit entfernt, das Axel bei 30 war. Meine Beine in den kurzen Hosen berühren ihre nackten Beine. Meine nackten Arme sind dicht an ihren. Beide japsen wir noch nach Luft, während mich ein unfassbares Gefühl durchströmt. Ich bekomme eine Gänsehaut.
Es ist nicht nur ihre Wärme die ich spüre. Es ist das Andere, das tief bei mir eindringt. Ich lege meinen Zeigefinger an die Lippen und sage:” Pst! Leise! Hier finden die uns nie.” Sie schaut mich an und ich Blicke in ihre dunklen Augen. Ich merke wie mir das Blut in die Wangen steigt. Genauso wie wenn man jemanden belügt. Oder wenn ich mich schäme.
Doch dieses Blut fühlte sich doch ganz anders an. Aufregung. Ich weiß nicht, wieso ich zu ihr sage:”Darf ich dich küssen?” Und könnte bei dieser Frage eigentlich glatt im Boden versinken. Sie sieht mich mit einem ernsten Blick, sehr fragenden Blick an:”So wie Papa und Mama?”
Ich hauche fast kaum verständlich:”Ja so”. Ich bin in diesem Augenblick so tief berührt wie nie zuvor. Ich kann mir nichts wichtigeres auf der ganzen Welt vorstellen.
Es ist, so weiß ich das heute, ein tiefes Gefühl der Sehnsucht. Sehnsucht nach Berührung. Nähe. Aber auch etwas wie Hunger, nach etwas, das man unbedingt haben will. Der Wunsch das etwas dir gehört, ohne zu Wissen wie es ist, wenn man du es geschenkt bekommst. Wie ein Segelschiff im Schaufenster eines Spielwarenladen. Du stehst davor und es ist so wunderschön. Du kannst dir vorstellen wie du es zum Teich trägst und wie es dann auf dem Wasser schwimmt.
Ich lege meinen Arm um ihre Schulter und unsere beiden Gesichter rücken nahe zueinander. Sie schließt die Augen. Ich schließe die Augen und taste mich behutsam vor. Dann berühren sich unsere Lippen. Treffen mit voller breite unglaublich weich auf einander. Und bleiben warm und ganz weich beieinander.
Ich habe das Gefühl, das meine Lippen mit ihren verschmelzen. Zusammenwachsen. Ganz leicht. Und es hört nicht auf. Ich spüre ihren Atmen durch die Nase. Es duftet wie frische Erdbeeren und Früchte. So süß. Ich will gar nicht mehr aufhören und bin tief erregt. Sie zieht sich zurück. Wir machen die Augen auf und Ihre Augen sehen verklärt aus. Sie glänzen so unglaublich schön.
“War das schön?” frage ich und spüre im gleichen Moment, das mein ganzer Körper mehr verlangt. Warum das so ist weiß ich nicht. Ich verstehe es auch nicht. Der Kuss ist ganz anders als ein Gute Nacht Kuss von Mama oder Papa. Die sind nicht so weich uns zart. Eher trocken und fest.
Sie schaut mich an und nun haucht sie:”Ja sehr schön. Noch mal?” Und wieder nähern sich unsere Gesichter. Sie schließt die Augen. Ich nicht. Ich sehe ihren Mund der Spitz auf mich zukommt und dann sind wir wieder zusammen. Ich versinke. Mit dem Blick auf ihre eben mäßige, leicht gebräunte Haut, tauche ich erneut ein, in dieses wunderschöne Gefühl und dann schließe ich meine Augen. Und wünsche mir, das es nie endet. Und es dauert so lange, das ich das Gefühl für Zeit und Raum und Geräusche vergesse. Bis in unserer Nähe jemand ruft:”Ich glaub ich weiß wo die sind.”
Und dann ist die Welt wieder da. und ich spüre etwas wie Eiskälte in meinen Armen und Beinen. Es fröstelt mich. Wir springen auf. Schauen uns an und dann sind die Anderen da.
Und wir spielen als wenn nichts gewesen sei. Und doch war etwas tief in mir entstanden.Ich fühlte mich einerseits wie neu geboren. Wie ein ganz anderer Junge. Andererseits als hätte jemand mein Herz und meinen Magen vertauscht,oder irgendetwas in meinem Bauch an eine andere Stelle geschoben. In meinem inneren war alles durcheinander. Selbst lachen und Spaß mit den Kindern wollte mir nicht gelingen. Ich war tief in mir gefangen. Da war eine Saite in Schwingung geraten, die erst später wieder auftauchen sollte. Ja ich fühlte mich auch ein wenig traurig, das ich diese Gefühl nicht mehr hatte.
Ich wusste damals nichts davon, das mich dieser Moment prägen sollte. Das er mir immer in Erinnerung bleiben sollte. Das ich manche Nacht davon träumte, noch einmal solche Lippen zu berühren. Ihre Lippen zu berühren.
Nur Ihre? Warum? Das vielleicht nicht, oder besser gesagt, ich weiß es bis heute nicht genua. Oder erfahre ich das in meiner Geschichte über mich selbst, am Ende doch noch? Mal sehen.
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